Erklärung im NSU-Prozess
In diesen Punkten ist Zschäpe wenig glaubhaft
"Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte", ließ Beate Zschäpe am Mittwochmorgen im Münchner Oberlandesgericht vortragen. Und sie bitte "bei allen Opfern und allen Angehörigen der Opfer der von Mundlos und Böhnhardt begangenen Straftaten" aufrichtig um Entschuldigung.
Sie habe leider erst immer hinterher von den Taten erfahren, sie nicht gebilligt, sei aber zu schwach gewesen, sich von den Mördern zu lösen, so Zschäpe. Das ist die Essenz der 53-seitigen Erklärung, die Verteidiger Mathias Grasel im NSU-Prozess verlesen hat. Doch ist das die Wahrheit?
Zahlreiche Ausführungen der Angeklagten betreffen das Binnenverhältnis des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), dessen übrige Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich getötet haben. Die beiden können sich also nicht mehr dagegen wehren, dass Zschäpe sie nun massiv belastet und ihnen die alleinige Verantwortung an der Mordserie zuweist.
In einigen Punkten aber lässt sich Zschäpes Aussage anhand der vorliegenden Ermittlungsergebnisse zumindest auf ihre Plausibilität abklopfen. Und dieser Faktencheck fällt in einigen Punkten ungünstig für die Angeklagte aus. Der Überblick:
- NSU-Mitgliedschaft
"Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass ich ein Gründungsmitglied einer Vereinigung namens NSU gewesen sein soll", heißt es in der Erklärung. Dem stehen Erkenntnisse des Bundeskriminalamts und der Bundesanwaltschaft entgegen.
So unterstützte Zschäpe demnach Mundlos und Böhnhardt massiv dabei, sich mit falschen Papieren auszustatten. Zschäpe begleitete etwa den ebenfalls angeklagten Holger G. bei einem Amtsgang, bei dem sich dieser einen falschen Ausweis für den mutmaßlichen Terroristen Böhnhardt beschaffte. Mehrfach war sie laut Anklage auch bei Treffen und Begegnungen dabei, die alleine diesem Zweck dienten.
Wiederholt ging sie zudem mit, wenn Böhnhardt Autos oder Wohnwagen für die Taten anmietete. Ebenso half sie den Ermittlern zufolge bei der Bewaffnung der Gruppe, als sie den Waffenlieferanten Holger G. vom Bahnhof abholte und in die gemeinsame Wohnung brachte. Und ein gewichtiges Indiz, das gegen Zschäpe spricht: Auf zwei Zeitungsausschnitten, die sich mit den Taten des NSU befassten, fanden sich ihre Fingerabdrücke.
Nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos folgte sie einem offenbar vorher gefassten Plan. Sie packte 15 Bekennervideos des NSU ein, schüttete Benzin in der Wohnung aus und zündete sie an. Die Filme verschickte sie laut Anklage in vorbereiteten adressierten Umschlägen. Zschäpe will damit den letzten Willen der Verstorbenen erfüllt haben. Ohne zu wissen, was sie versandte?
Insgesamt verschaffte sie der Gruppe laut Anklage im Alltag "den Anschein von Normalität und Legalität" und legendierte unter anderem die gemeinsame Wohnung. "Die ausschließliche Zwecksetzung des räumlich und personell abgeschotteten Zusammenschlusses bestand darin, planmäßig über Jahre hinweg erfolgreich Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven zu begehen", so die Bundesanwaltschaft.
- Kassenwart des NSU
Zschäpe weist den Vorwurf zurück, sie habe die Kasse des NSU verwaltet. "Es gab keine Zuständigkeit bei der Bezahlung der alltäglichen Kosten", ließ sie Grasel verlesen. Das allerdings widerspricht den Aussagen zahlreicher Zeugen.
Die Angeklagten im NSU-Prozess





Beate Zschäpe
Anklage: Mittäterschaft bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 bewaffneten Raubüberfällen; Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung; versuchter Mord; besonders schwere Brandstiftung
Untersuchungshaft: seit 8. November 2011
Verbindung zum NSU: Zschäpe, Jahrgang 1975, gilt als Gründungsmitglied der Terrorzelle NSU. Laut Bundesanwaltschaft war sie neben den verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eines von drei gleichberechtigten Mitgliedern der Gruppe. Sie soll selbst keine Morde verübt haben, aber für den NSU unverzichtbar gewesen sein. Laut Anklage sollte Zschäpe der Terrorzelle den Anschein von Normalität geben, war für die Logistik zuständig, verwaltete das Geld, mietete Fahrzeuge an, archivierte Artikel über die Taten der Terroristen, soll an der Beschaffung einer Waffe und gefälschter Papiere beteiligt gewesen sein. Schließlich soll die 37-Jährige das letzte NSU-Versteck in Zwickau in Brand gesetzt und DVDs verschickt haben, in denen sich der NSU zu seinen Taten bekannte.
Ralf Wohlleben
Anklage: Beihilfe zum Mord in neun Fällen
Untersuchungshaft: seit 29. November 2011
Verbindung zum NSU: Wohlleben, Jahrgang 1975, soll dem Terrortrio 1998 beim Untertauchen finanziell geholfen und dem NSU auch später Geld beschafft haben. Ende 1999 oder Anfang 2000 soll der frühere NPD-Funktionär dem NSU mit Hilfe eines Kuriers eine Pistole vom Typ Ceska 83 und Munition besorgt haben - die Tatwaffe für die Morde an neun Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund.
Holger G.
Anklage wegen: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen
Untersuchungshaft: 13. November 2011 bis 25. Mai 2012
Verbindung zum NSU: G., Jahrgang 1974, soll seit dem Ende der neunziger Jahre Kontakt mit dem Terrortrio gehabt haben. Dem NSU soll er seinen Führerschein, eine Krankenversichertenkarte und einen Reisepass überlassen haben. So soll er der Zelle ermöglicht haben, verborgen zu agieren und rechtsextreme Gewalttaten zu verüben. Zudem transportierte er für die Terroristen eine Waffe. G. hat gegenüber den Ermittlern ein umfassendes Geständnis abgelegt.
Carsten S.
Anklage: Beihilfe zum Mord in neun Fällen
Untersuchungshaft: 1. Februar bis 29. Mai 2012
Verbindung zum NSU: S. kaufte - angeblich mit dem Geld Ralf Wohllebens - die Waffe, mit der neun Kleinunternehmer erschossen wurden. Zudem lieferte der 32-Jährige die Pistole an die Terrorzelle nach Chemnitz. S. hat gegenüber der Bundesanwaltschaft ausgesagt und ein umfassendes Geständnis abgelegt.
André E.
Anklage: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag, Beihilfe zum Raub
Untersuchungshaft: 23. November 2011 bis 14. Juni 2012
Verbindung zum NSU: Der gelernte Maurer soll der Terrorzelle seit den neunziger Jahren geholfen haben, etwa bei der Anmietung von Fahrzeugen und einer Wohnung. Der 33-Jährige und seine Frau sollen die NSU-Mitglieder regelmäßig besucht haben. Zudem gab er 2006 Beate Zschäpe als seine Ehefrau aus.
- Tod von Michèle Kiesewetter
Laut Zschäpes Erklärung wurde die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen, weil Mundlos und Böhnhardt es auf deren Waffe abgesehen hatten. Die Pistolen des NSU hätten immer wieder Ladehemmungen gehabt, hätten die Männer ihr berichtet. "Das war der einzige Grund, warum erneut ein Mensch sterben musste", so die Einlassung der Angeklagten. Die Aussage ist in sich wenig stimmig.
Zum einen: Greift man mit Waffen, die nicht richtig funktionieren, Polizisten an? Zum anderen: Der NSU hatte sich auf illegalen Wegen ein ganzes Arsenal von Pistolen zugelegt, darunter eine leider allzu gut funktionierende Ceska. Warum vertraute man auf diese Beschaffungswege nicht mehr? Wieso sollte man die wesentlich risikoreichere Variante wählen und Polizisten nicht nur entwaffnen, sondern zu diesem Zweck auch noch töten? Und weshalb bewahrte Mundlos über all die Jahre die mit dem Blut Kiesewetters befleckte Jogginghose auf, wenn es nur um die Waffen der Beamten ging? Die Pistolen der Polizisten hat der NSU übrigens nie eingesetzt.
Die Interpretation des Generalbundesanwalts ist da schon deutlich sinnvoller als Zschäpes Variante: Die beiden Beamten in Heilbronn seien angegriffen worden, "weil sie Polizisten und damit Vertreter des gehassten Staates waren", heißt es in der Anklage. Böhnhardt und Mundlos wollten demnach die "Ohnmacht der Sicherheitskräfte bloßstellen und ihre eigene Macht demonstrieren". Als "Ausdruck des Triumphs" hätten sie die Waffen der Überfallenen an sich genommen.
- Bombenbau in Wohnung
Die Bombe, die im Januar 2001 in einem Geschäft in der Kölner Probsteigasse detonierte, habe Uwe Böhnhardt in seinem Zimmer gebaut, berichtete Zschäpe nun. Die Gruppe bewohnte damals nach Erkenntnissen der Ermittler eine 66,5 Quadratmeter große Drei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss der Heisenbergstraße 6 in Zwickau, einem fünfgeschossigen Plattenbau. Es erscheint wenig glaubhaft, dass ein Täter hier einen Sprengsatz konstruieren konnte, ohne dass seine Lebensgefährtin davon etwas bemerkte.
- Abhängigkeit von Böhnhardt und Mundlos
"Meine Gefühle kann ich im Ganzen nur so beschreiben", heißt es in Zschäpes Erklärung, "dass ich mich einerseits von den Taten abgestoßen fühlte, mich aber nach wie vor zu Uwe Böhnhardt hingezogen fühlte." Sie habe sich in ihr Schicksal ergeben, mit ihren beiden Gefährten trotz der Morde weiter zusammenzuleben. "Die beiden brauchten mich nicht, ich brauchte sie."
Zschäpe als emotional abhängige Mitläuferin? Zahlreiche Weggefährten haben ihre Persönlichkeit in den Ermittlungen und vor Gericht deutlich anders beschrieben. Sie sei diejenige im Trio gewesen, die die Hosen anhatte, erinnerte sich etwa ein Zeuge. Auch die Art und Weise, wie sie zuletzt ihre Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ausbootete, deutet nicht auf eine Persönlichkeit hin, die sich klaglos in ihr Schicksal fügt. Die Opferrolle steht Zschäpe nicht nur schlecht, sie nimmt ihr auch niemand ab.
- Motiv für den ersten Mord
Nach dem ersten Mord Böhnhardts und Mundlos' an dem türkischen Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg will Zschäpe ihre beiden mutmaßlichen Komplizen zur Rede gestellt haben. "Auf meine Frage, warum sie einen Menschen getötet hatten, erhielt ich keine klare Antwort. Es wurden Argumente vorgetragen wie: Perspektivlosigkeit, Gefängnis und insgesamt bestehende Frustration", so Zschäpe. "Es wurde mit keinem Wort erklärt, dass der Mord politisch motiviert gewesen sei", behauptete sie. Kann man das glauben?
Zu diesem Zeitpunkt lebte Zschäpe seit Jahren mit zwei Neonazis im Untergrund, die bereits Bomben gebaut hatten. Und nun eröffneten Böhnhardt und Mundlos ihr angeblich, der Mord an einem Migranten habe nichts mit der Herkunft des Opfers zu tun? "Beide berichteten mit keinem Wort, dass Enver Simsek deshalb sterben musste, weil er Ausländer war." Das ist kaum nachzuvollziehen.
Videoanalyse: Gisela Friedrichsen zur Zschäpe-Aussage