Skandal um DDR-Band Pankow
Brisanter Punk im Palast der Republik
Abend will es werden in der Hauptstadt der DDR. Warm leuchten die vielen Lichter aus dem Inneren des Palasts durch die kupfereloxierten Scheiben nach draußen. Draußen, vor dem Portal, harren schon viele an diesem nassgrauen Januarabend der Palastwache, die bald die Türen öffnen wird. Es ist "Rock für den Frieden" heute Nacht und es könnte vielleicht etwas Subversives geschehen. Endlich werden die Tore geöffnet. Da strömen sie hinein, die Tausenden, hinein ins Licht, zur Musik, zu ihresgleichen. Nichts wie die breite Treppe hinauf, die ersten Gitarrenklänge dringen schon aus dem großen Saal. Jubel breitet sich aus.
Hier im "Palast der Republik" tanzte einst zur Eröffnung Staats- und Parteichef Erich Honecker mit seiner Ehefrau Margot Wiener Walzer. Weißer Marmor wurde importiert, mehr als 10.000 Kugellampen im Inneren des Glas- und Betonklotzes installiert. Mit fast einer halben Milliarde Ostmark geriet der Palast zum teuersten Prachtbau der DDR. Als wahres "Haus des Volkes" beherbergt es die Volkskammer wie auch eine beliebte Milchbar. Die SED hält Jubelparteitage ab, das Staatswappen mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz ziert die Fassade.
Ausgerechnet hier, im Zentrum der sozialistischen Staatsmacht, beim Rock-Festival der staatstreuen Jugendorganisation FDJ, bahnt sich an diesem Januarabend 1983 etwas Besonderes an. Und ich kann im großen Saal dabei sein, als Westjournalist, akkreditiert vom Außenministerium der DDR. Das haben gerade noch einige smarte Herren überprüft, die diskret darum baten, ihnen durch die kaum sichtbare Tür in einer der Stützsäulen des Bauwerkes zu folgen, die innenliegende Wendeltreppe hinab bis zu einem verborgenen Kontrollraum. Ihre Papiere! Ach so, Sie haben Eberhard Aurich, den stellvertretenden Vorsitzenden der Freien Deutschen Jugend interviewt... alles in Ordnung! Sie können gehen. Bloß keine Zwischenfälle! Nun sitze ich mit den anderen 5000 in den weichen Palastsesseln und schalte den Kassettenrecorder auf Aufnahme.
Im Hintergrund werden Schreckensbilder im Großformat projiziert: Weltkrieg, Libanon, Soldaten, Verwundete, Bomben. Doch nun geschieht etwas Seltsames. Das Bühnenlicht verlischt und als es wieder angeht, steht da einer alleine im Scheinwerferkegel. André ist es. André Herzberg von der Ost-Berliner Band Pankow. Er zieht sich eine Armeehose an, dazu die passende Jacke. Eine graue Wehrmachtsuniform! Stiefel hält er jetzt hoch und schreit: "Seht her! Deutsche Wertarbeit!"
Dazu schwenkt er ein Sturmgewehr, ein Stahlhelm auf seinem Kopf. Ein Landser, ein richtiger Landser ist aus dem Mann mit den lockigen, langen Haaren geworden.
Schock für FDJ-Spitzenfunktionäre
Bombastisch-heroische Klänge füllen den Raum, auf der Leinwand erstarrt das von einem Fackelzug gebildete riesige Hakenkreuz. Und André, der Sänger von Pankow, steht da und redet über "schlimme Zeiten" und "Parteien, die alle den richtigen Weg wussten". Dann brüllt er das immer aktuelle Credo des gewöhnlichen Deutschen: "Aber es ist wieder Ordnung in Deutschland!"
"Wir kleinen Leute können ja sowieso nichts machen. Wir sind alle nur ein Rädchen im großen Getriebe. Ich will ja nur ein gemütliches Heim. Dagegen ist doch nischt zu sagen - oder? "
Im Saal wird es mucksmäuschenstill.
"Wir werden ja sehen, was die nächsten Jahre bringen. Die meisten, die ich kenne, machen auch mit...."
Ist das jetzt noch ein Landser? Sieht die Uniform der DDR-Armee nicht so ähnlich aus? Meint er noch die deutsche Vergangenheit? Oder schon unsere Gegenwart?
"Da will man doch nicht aus der Reihe tanzen!"
Jeder Satz landet messerscharf im Gesicht der FDJ-Spitzenfunktionäre, die in den ersten Reihen stumm glotzen, und nur langsam begreifen, was für ein Spiegel allen im Saal vorgehalten wird.
"Die da oben werden schon wissen, was sie machen!"
Die da oben? Jetzt hat das Spiel der Band wieder eingesetzt. André Herzberg schaut sie alle an, die 5000 im großen Saal und brüllt sie weiter an:
"Ich bin auch dabei! Ich bin lieb! Ich bin immer lieb!"
Da spielt einer ein brisantes Spiel, spielt mit der Geschichte, mit Gegenwart und Vergangenheit, spielt mit deutschen Uniformen und den Lieblingssätzen der Mitläufer und Angepassten in Deutschland.
Und jeder weiß, draußen vor dem Palast, Unter den Linden, vor Schinkels Wache, da haben sie sich gerade mit preußischem Stechschritt abgelöst, unsere Soldaten der Nationalen Volksarmee.
Holen sie den Pankow-Sänger mitsamt Uniform von der Bühne? Das DDR-Fernsehen hat die Live-Übertragung längst abgebrochen, im staatlichen Radio quasseln die Moderatoren über seinen Auftritt hinweg. Herzberg singt immer weiter, mit trotzig-rebellischem Tonfall:
"Dem lieben Gott geb ich Seins,
dem Staat geb ich Seins,
bleibt kaum was für mich da
Ich bin lieb, ich bin immer lieb
und klatsche Beifall noch
wenn ich auch gar nichts verstehe
lass alles gelten und sagen
stell keine peinlichen Fragen"
André Herzberg und seine zwei Jahre zuvor erst gegründete Band wurden nicht von der Bühne geholt. Schwierigkeiten aller Art hatten sie sowieso die ganzen Achtzigerjahre hindurch. Schon ihr Name war ja so eine zweideutige Sache: vordergründig nach dem Ost-Berliner Stadtbezirk Pankow benannt. Genau das war aber auch der westdeutsche Schmähbegriff für das DDR-Regime. Aber nach Punk klang Pankow auch noch, und wild aussehende, provozierende Punk-Anhänger gab es Anfang der Achtziger zu Hunderten in der "Hauptstadt der DDR". Pankow war aber keine der Untergrund- und Kellerbands.
"Verbote gab's immer"
Der Ursprungsgruppe war nur Veronika Fischer, die Frontfrau, abhanden gekommen - in den Westen. Mit André, dem neuen Sänger und dem neuen Bandnamen begann der verbliebene Rest 1981 einen dauernden Tanz auf schmalem Grat.
Mal wurde ihr Plattencover abgelehnt, mal die ganze Platte. Mal ein Auftritt, mal ein Sendeverbot im DDR-Radio, mal ging es um ihre Texte. "Verbote gab's immer", erinnert sich Herzberg, "damit haben wir doch gelebt, die ganze Zeit, von Kindheit an." Ein Album nannten sie "Aufruhr in den Augen", das kam durch. Eine andere Platte verweigerte ihnen der AMIGA-Direktor .
Ich mache ein Interview mit der Band, an diesem Tag im Palast der Republik, Herzberg sagt darin: "Wir finden es unheimlich bedrückend, dass zu wenig Leute den Mut haben, gegen das, was sie stört, vorzugehen und einfach aktiver zu leben." Heute sitzt er nach über drei Jahrzehnten wieder vor mir, diesmal machen wir ein Video-Interview. Ich spiele ihm meinen Mitschnitt seines damaligen Auftritts vor.
Zeigt sich heute gelassen als Jude
Er hört es zum ersten Mal, es wühlt ihn auf, es freut ihn. Er erzählt, wie damals die Aufpasser und kleinen Kulturfunktionäre der FDJ "bis an den Bühnenrand an mir zerrten und wissen wollten, was ich da gleich vor den Leuten machen würde." Wie groß ihre Angst war, er könne aus der Reihe tanzen.
Diese Angst kannte er schon von seinem Vater, der war ein braver Kommunist und Parteisoldat, der arbeitete für den staatlichen Rundfunk. Jetzt hat Herzberg über all das geschrieben, die Geschichte einer Familie in seinem neuen Roman mit dem Titel "Alle Nähe fern".
Er beschreibt darin, wie sich Väter und Söhne im Deutschland der letzten 100 Jahre über Generationen immer wieder fremd geblieben sind. Bis hin zum Verrat am eigenen Sohn. Das Muster, erkannte Herzberg, kehrt immer wieder: "Die 'Sache', die 'Idee' das 'Ganze' wird höher bewertet als das eigene Kind. Väter verstoßen ihre Söhne, wenn sie den politischen Ansichten des Vaters widersprechen." Das gab es im Kaiserreich und im Faschismus, das gab es im Osten, wie im Westen, in den Fünfzigern und Sechzigern.
Sein eigener Vater verriet ihn, als Herzberg nicht länger bei der NVA dienen wollte. "Hart anpacken!" sollten die Offiziere sein Kind, bat Herzberg Senior hinterrücks bei einem Besuch in der Kaserne.
Sein Vater, sagt André Herzberg, "war ein linientreuer, bis zur Selbstverleugnung orthodoxer Kommunist, der nach der Rückkehr aus der Londoner Emigration die jüdischen Wurzeln aufgab, um nicht dem Misstrauen der Partei anheim zu fallen. Herzberg erlebte, dass "Jude" auch in der DDR als Schimpfwort gebraucht wurde. "Unter dem verordneten Antifaschismus gab es natürlich Antisemitismus im Osten!"
Erst die Auseinandersetzung mit seiner Familiengeschichte und seinem verlogenen Land, in dem er aufwuchs, hat dazu geführt, dass Herzberg sich heute gelassen als Jude zeigt. Als er noch in die Synagoge in der Rykestraße in Prenzlauer Berg ging, war das nicht so. Er schrieb alles als Literatur auf, "damit ich weiß, wer wir sind und wie wir waren - damit ich besser leben kann".
Noch zu DDR-Zeiten hat Herzberg sein Lebensgefühl, vielleicht stellvertretend für eine ganze Generation, in einen Liedtext gelegt:
"Dasselbe Land zu lange gesehn
Dieselbe Sprache zu lange gehört.
Zu lange gewartet, zu lange gehofft
Zu lange die alten Männer verehrt.
Ich bin rum gerannt, zu viel rum gerannt. Und ist doch nichts passiert."
Eine kleine Reminiszenz war es nach dem Fall der Mauer für Herzberg dann nur noch, im Gedenken an die vielen Verbote in der Pankow-Zeit, dem Chef des einzigen DDR-Plattenlabels, René Büttner, bei der 50-Jahr-Feier von AMIGA eine der Jubiläumstorten mitten ins Gesicht zu schmeißen und zu sagen: "Danke für die Zusammenarbeit!"
Mitarbeit: Mareike Ahrens, Nicola Kuhrt
Bye-bye DDR
Geschichten zum Mauerfall
Verwegene Proteste, riskante Untergrundaktionen, illegale Treffen: Von 1979 bis zum Ende der Republik berichtete Peter Wensierski über Widerstand und Rebellion in der DDR. Er brachte Filme, Fotos und Dokumente über die Grenze, schrieb Reportagen oder Bücher wie "Null Bock auf DDR" und drehte Dokumentarfilme. In der einestages-Serie "Bye-bye DDR" erzählt er zum 25. Jubiläum des Mauerfalls die spannendsten, bewegendsten und kuriosesten Geschichten aus dieser Zeit - und trifft die Akteure von damals wieder.
- 1. Die verbotene Reise
- 2. Piratensender "Schwarzer Kanal"
- 3. Gregor Gysi spricht auf Tonband
- 4. Die Dunkelkammer in der Kastanienallee
- 5. Rebellion am Brandenburger Tor
- 6. Ein Briefumschlag aus Ost-Berlin
- 7. Fasse dich kurz! Die Stasi hörte mit
- 8. Das operative Fernsehen der DDR
- 9. Die Entscheidung: Leipzig im Oktober 1989
- 10. Proteste gegen die Umweltverschmutzung
- 11. Die wahren Revoluzzer
- 12. Als der Prenzlauer Berg noch wild war
- 13. Neonazis in der DDR
- 14. Punk im Palast der Republik
- 15. Deutsche Denunzianten Republik
- 16. "Diese Ratte"
- 17. DDR-Widerstandsikone Bettina Wegner
- 18. Das kurze Jahr der Anarchie