Minister, Manager, Richter, Rektoren
Spitzenjobs fest in westdeutscher Hand

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: Westdeutsche Dominanz
Eine ostdeutsche Biografie ist nicht förderlich für eine Topkarriere in Deutschland. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die am Montagabend in der ARD-Sendung "Wer beherrscht Deutschland?" vorgestellt wird. Der Leipziger TV-Journalist Olaf Jacobs hatte im Auftrag von MDR und WDR untersucht, wo deutsche Eliten aufgewachsen sind, wo sie studiert haben und wo Stationen ihrer Karriere lagen.
Als Eliten zählte das Team von Jacobs alle Mitglieder der Bundesregierung seit 1990, die Chefs der 100 größten Unternehmen Deutschlands, die Vorsitzenden der größten Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, die Vorsitzenden Richter an den obersten Bundesgerichten sowie die Rektoren beziehungsweise Präsidenten an staatlichen Universitäten.
West-Ost-Gefälle
Für all diese Personen recherchierten die Journalisten den Ort des Schulabschlusses (regionale Herkunft), die Stationen von Ausbildung und/oder Studium sowie die Stationen der bisherigen Karriere. Dabei stützte sich das Team auf online zugängliche Quellen und Datenbanken wie Munzinger. Waren Daten nicht auffindbar, wurden die Personen nicht in die Analyse einbezogen.
Daten von mehr als 300 Personen konnten die Journalisten auswerten, darunter rund 50 Minister, 70 Manager, 50 Richter und 70 Rektoren. Bei der regionalen Herkunft zeigte sich ein deutliches West-Ost-Gefälle. Pro eine Million Westdeutsche schafften es vier Personen in einen der beschriebenen Topjobs. Pro eine Million Ostdeutsche war es nur einer. Berlin wird in der Auswertung separat ausgewiesen, weil eine klare Ost-West-Zuordnung nicht in allen Punkten möglich war.
Besonders extrem ist die Situation an den Bundesgerichten und Universitäten, wo jeweils kein einziger Richter beziehungsweise Rektor mit ostdeutscher Biografie gefunden wurde. Man muss dabei jedoch generell auch das tendenziell etwas fortgeschrittene Alter des Spitzenpersonals berücksichtigen. Die aktuelle Besetzung spiegelt zumindest in einigen Bereichen die Situation der Nachwendezeit wider: Viele Jobs im Osten wurden mit Westdeutschen besetzt, Ostdeutsche kamen im Osten wie Westen kaum zum Zug.
Auch bei den Ausbildungs- und Studienorten dominiert bis heute Westdeutschland. Auch hier wurde die Anzahl der Nennungen durch die Zahl der Bewohner (in Millionen) geteilt.
Beim Ausbildungs- und Studienort entdeckten die Autoren der Studie eine gewisse Fokussierung. Besonders häufig tauchten die Unistädte Münster, Saarbrücken, Hamburg und Marburg auf, aber auch Bonn, Aachen oder Göttingen. Ostdeutschland und Berlin sowie viele Regionen in Norddeutschland wurden hingegen nur selten erfasst.
Aufschlussreich ist auch der Blick auf den beruflichen Aufstieg der rund 300 Topführungskräfte. Die Autoren haben dabei Stationen der Karrieren notiert - dies konnten je Person auch mehrere Orte sein. Wirtschaftszentren wie Hamburg, München und Stuttgart, Frankfurt am Main in der Rhein-Main-Region sowie Bonn, Düsseldorf und Aachen im Rheinland bildeten die häufigsten Aufstiegsstationen. Letztlich hätten die Karrieren des Toppersonals nur über wenige westdeutsche Städte geführt, schreiben die Autoren.
Auffällig ist, dass Ostdeutschland zumindest bezogen auf Karrierewege nicht ganz so schlecht dasteht wie bei der regionalen Herkunft der Topkader. Das ist andererseits aber auch nicht verwunderlich, schließlich befinden sich im Osten viele Unis und zwei Bundesgerichte sowie ein Strafsenat des BGH.
Erstaunt zeigen sich die Autoren der Studie über die schwache Präsenz von Berlin. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung - und Jahrzehnte nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin - spiele die Bundeshauptstadt und größte deutsche Stadt "eine eher durchschnittliche Rolle in den Karrieren", im Gegensatz zu den Regionen entlang des Rheins. In allen betrachteten Bereichen, selbst in der Bundespolitik, liege Berlin lediglich im Durchschnitt.
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Die neue, bundesweite Studie über deutsche Eliten reiht sich ein in ähnliche Untersuchungen von Olaf Jacobs aus früheren Jahren. 2016 und 2004 hatte er vor allem Biografien von Führungskräften in Ostdeutschland untersucht. Dabei war herausgekommen, dass nur etwa ein Fünftel aller Führungskräfte in den neuen Bundesländern aus dem Osten stammte.
Ein klares West-Ost-Gefälle hatte kürzlich auch eine Datenanalyse des SPIEGEL ergeben, in der es um Personen-Artikel auf Wikipedia geht. Westdeutsche sind demnach auf Wikipedia deutlich präsenter als Ostdeutsche - vor allem in den Jahrgängen von 1960 bis 1985. Im Jahrgang 1960 gibt es über 12 von 10.000 in Westdeutschland Geborenen einen Personenartikel - unter den Ostdeutschen ist die Quote nur halb so hoch.