Bücher 2017
Die Biene als Bestseller
Imkern, Mittelalterkitsch und der ewige Kampf zwischen Fakt und Fiktion: Wir haben die meistverkauften Romane des vergangenen Jahres gelesen, damit Sie es nicht müssen.
Samstag, 30.12.2017
17:59 Uhr
Eigentlich sollte die Liste des meistverkauften Romane 2017 schon vor Weihnachten vorliegen. Doch im Schlussspurt des Geschenkekaufens, so der "Buchreport", der in Kooperation mit dem "Spiegel" die wöchentliche "Spiegel-Bestsellerliste" erstellt, ging es so hoch her, dass die Top-Titel zu eng beieinander waren, um die Platzierung des Jahres festzustellen. Jetzt aber steht die Top-Liste - was prägt die Bestseller in diesem Jahr?
Trend eins: der beständige Versuch, das Verhältnis von Fakt und Fiktion zu verhandeln, als würde sich die anhaltende Debatte ums Postfaktische in jede Ritze winden - sei es der Klimawandel in "Die Geschichte der Bienen" (Platz 1), der Zwist zwischen Religion und Wissenschaft bei Dan Brown (Platz 2), das Spiel mit Autobiografischem bei Elena Ferrante (Platz 4) und nacherzählten Lügen bei Kehlmanns "Tyll" (Platz 3).
Trend zwei: Unter den Top 20 der Belletristik sind nur fünf Autorinnen (auch wenn Elena Ferrante drei Mal draufsteht). Wer hierzulande liest, will sich offenbar die Welt von Männern erklären lassen. Falls also jemand noch einen Vorsatz braucht für 2018 -mehr Frauen zu lesen, wäre vermutlich ganz gut.
Warum wurde ein Buch zum Bestseller und auf welchen Ableger können wir 2018 warten? Wir haben die 5 meistverkauften Romane für Sie geprüft. Klicken oder wischen Sie hier:
1 Maja Lunde: "Die Geschichte der Bienen"
Darum geht's: Drei Imker, drei Epochen: William im englischen Hertfordshire 1852. George in Ohio 2007. Und Tao in Sichuan 2098. Vom Samenhändler, der an einem neuen Bienenstock tüftelt, bis zur Plantagenarbeiterin Tao, die als Bienenersatz die Obstblüten per Hand bestäuben muss. Bisschen Historienschinken, bisschen Science Fiction.
Typischer Satz: "Sie drehte sich weg. 'Gehen Sie jetzt.' - 'Nein!' - Endlich hob sie den Blick. Ihre Augen flehten mich an. 'Gehen Sie. Und vergessen Sie, was Sie gesehen haben.'"
Bestseller-Zutaten: Bienensterben ist das neue Waldsterben: Dass es doof ist, darauf können sich alle einigen (siehe Grünen-Wahlkampf seit Frühjahr 2017). Wird hier aber nicht als x-tes Sachbuch verhandelt, sondern gefühlig als Familiendrama und Herzschmonzettenroman.
Zu Recht Bestseller? Als Klimawandelanklage gelesen: klar, immer. Ansonsten: Das Verhältnis von Gehalt zu Seitenzahl ist etwa das von Bienenvorkommen weltweit zu Luftvolumen in der Atmosphäre.
Diese Ableger kommen 2018: Timm Koch: "Herr Bien und seine Feinde. Vom Leben und Sterben der Bienen", Westend, März 2018. Obacht, ein Sachbuch.
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Maja Lunde: "Die Geschichte der Bienen", aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein, btb Verlag, 512 Seiten, 20 Euro.
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2 Dan Brown: "Origin"
Darum geht's: Der Kampf der Kämpfe: Wissenschaft gegen Religion. Ein millionenschwerer Futurologenstar kündigt an, die Ur-Idee von Christentum, Judentum und Islam als Lüge zu entlarven. Bei seiner Enthüllungsshow wird er erschossen. Am Tatort: Browns "Illuminati"-Kunsthistoriker-Detektiv Robert Langdon, logo. Auch der Rest ist gestrickt wie immer: Co-Ermittlerin wird die eine - natürlich Bombe aussehende! - Frau der Story.
Typischer Satz: "Ganz in der Nähe war plötzlich das Gescharre von Füßen zu hören, lautes Keuchen, das Geräusch schwerer Körper, die in wildem Kampf aufeinanderprallten."
Bestseller-Zutaten: Fünfter Band nach vier Bestsellern, thematisch auf Erfolg geschneidert. Religion: internationales Aufregerthema. Kunst: fürs wohlige Gefühl von "Lesen bildet". Setting: Sightseeingtour zwischen Guggenheimmuseum Bilbao, Sagrada Familia, Königshaus.
Zu Recht Bestseller? Motto: Kennste einen, kennste alle.
Auf diese Ableger warten wir 2018: Auf die Taschenbuchausgabe von Band fünf aus Rick Riordans Percy-Jackson-Reihe "Helden des Olymp" im Mai. Auch hier geht es um bildungsbürgerliche Religionsmorde, allerdings unter römischen und griechischen Gottheiten.
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Dan Brown: "Origin", Bastei Lübbe, 668 Seiten, 28 Euro.
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3 Daniel Kehlmann: "Tyll"
Darum geht's: Wenn die Griechen nicht schon das Theater erfunden hätten - Eulenspiegel hätte den Titel als erster Bühnensatiriker verdient. Diese Geschichte folgt Tyll Ulenspiegel von dem Moment an, als er als Kind tagelang versucht, auf einem Seil zu balancieren, bis er es kann. Und dann zu einem wird, der mit seinen Kapriolen und Täuschungsmanövern den Menschen ihre Leichtgläubigkeit vorführt. Wie ein Schriftsteller eben, der uns Leser aus Worten ein Potemkinsches Dorf nach dem anderen baut.
Typischer Satz: "Um jemanden nachzumachen, du Idiot, du dummes Kind, du verstockter, unbegabter Stein, musst du ihm nicht bloß ähnlicher sein, als er sich selbst ist, denn er kann es sich leisten, irgendwie zu sein, aber du musst ganz und gar er werden, und wenn du das nicht kannst, dann gib auf [...]."
Bestseller-Zutaten: Abgesehen von den Marken "Kehlmann" und "Eulenspiegel": Literatur, die sich selbst beim Schaffen parallel seziert, mit doppelten, ach was, dreifachen Böden arbeitet - macht uns immer reicher. Sie lehrt, wieder frisch zu denken.
Zu Recht Bestseller? Was passte in dieses Jahr besser als die Geschichte über einen, der andere permanent zum Narren hält?
Auf diese Ableger warten wir 2018: Eine Neufassung vom Hauptmann von Köpenick. Noch nicht angekündigt, kommt aber bestimmt.
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Daniel Kehlmann: "Tyll", Rowohlt, 480 Seiten, 22,95 Euro.
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4 Elena Ferrante: "Meine geniale Freundin"
Darum geht's: Richtig gesehen: Das hier ist immer noch Band Eins, der vor anderthalb Jahren erschien. Zwei Mädchen im mafiösen Neapel der Fünfziger: erst beste Freundinnen, dann beste Konkurrentinnen, Lila hochintelligent, aus ärmlichen Verhältnissen, die andere, die Erzählerin, muss bimsen, um weiterzukommen. Und dann driften die beiden spektakulär auseinander - wie zwei Versionen eines einzigen Lebens.
Typischer Satz: Weil er den Spannungsbogen für die vier Bände aufreißt: "Lila will wie immer zu weit gehen, dachte ich. (...) Sie wollte nicht nur verschwinden, jetzt, mit sechsundsechzig Jahren, sondern auch das ganze Leben auslöschen, das hinter ihr lag."
Bestseller-Zutaten: Familiensaga. Mehrbändig. Italien. Unter Pseudonym geschrieben. Zwei starke Frauenfiguren im Zentrum. Würde schon reichen. Bonus: die Jugendsommerszenen, zweifellos großartig.
Zu Recht Bestseller? Darüber konnten sich die Kritiker selbst hier im Haus nicht einigen. All die Interpretationsansätze, die das #FerranteFever angespült hat, sind Reiz genug.
Auf diese Ableger warten wir 2018: Ohne Zweifel: Band Vier der Neapelstory "Die Geschichte des verlorenenen Kindes". Erscheint am 4. Februar bei Suhrkamp. Und im Sommer dann die HBO-Serienfassung.
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Elena Ferrante: "Meine geniale Freundin", , aus dem Italienischen von Karin Krieger, Suhrkamp, 422 Seiten, 22 Euro.
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5 Ken Follett: "Das Fundament der Ewigkeit"
Darum geht's: Passend zum Reformationsjahr: Hier bekriegen sich Protestanten und Katholiken unter Elizabeth I. bis aufs Blut. Mittendrin zwei Jungs aus Kingsbridge. Einer, der für die Queen ein Spionagenetzwerk aufbaut - und ein Möchtegernattentäter im Namen der Katholiken. Der Schinken umfasst in tolstoischem Ausmaß Familienstränge vom Königshaus bis zum Handwerker, eine Zeitspanne von 1558 bis 1620, überall im zerrissenen Europa. Motor der Handlung, immer, immer, immer: die Li-lala-liebe.
Typischer Satz: "Pierre konnte seine Ungeduld kaum zügeln. Sehr bald schon konnte er mit dieser Frau tun und lassen, was er wollte!"
Bestseller-Zutaten: Hier zieht die alte Serien-Formel: "Die Säulen der Erde" von 1989 über den Bau der Kathedrale von Kingsbridge war ein Giga-Bestseller übers Mittelalter, verfilmt als internationaler TV-Epos - Teil drei der Story ist da naturgemäß ein Selbstläufer. Hilft auch: die Popularität von religiösem Fanatismus und Mittelalterkram.
Zu Recht Bestseller? Wer nur das Wort "Kingsbridge" braucht, um feuchte Finger zu bekommen, soll es gerne lesen.
Auf diese Ableger warten wir 2018: Vielleicht doch einfach sieben Staffeln "Game of Thrones" schauen. Oder Daumen drücken, dass Hilary Mantels dritter Teil der Thomas-Cromwell-Reihe doch noch erscheint.
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Ken Follett: "Das Fundament der Ewigkeit", Bastei Lübbe, 1162 Seiten, 36 Euro.
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