"Anne Will" zur kriselnden Koalition
Wenn die Regierung den November übersteht, hält sie

Anne Will und Gäste: Die große S-Frage blitzte gleich zweimal auf
Da saßen sie also bei Anne Will, Menschen der Jahrgänge 1985, 1987 und 1989. Und das Großartige: Es war keiner Rede wert. Dennoch, die Selbstverständlichkeit, mit der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, Marina Weisband von den Grünen und der JuSo-Vorsitzende Kevin Kühnert drei Fünftel der Runde sehr erfrischend bestritten, wirkte wie eine Kampfansage: an den Status quo und alle, die den Job als Parteivorsitzende mal hatten oder vom Sofa aus so tun als ob. Und seit Monaten aus dem Off reinquaken, während die anderen gerade arbeiten.
Nein, die Debatte um die Zukunft der Parteien wurde an jenem Abend wirklich nicht von älteren Männern geführt, die die Karriereziele in ihrem Leben noch nicht erreicht haben. Dafür war es viel zu munter.
"Die Führungsfrage - wissen CDU und SPD noch, wo sie hinwollen?", wollte Anne Will in ihren 60 Minuten klären.
Und, wissen sie's?
"Auf der Suche", passt wohl eher. Zwischen rhetorischen Nebelkerzen - Inhalte statt Personaldebatten! - und konkretem Beharken über Grundrente und Koalitionsfragen, in Berlin wie in Thüringen, war alles dabei. Paul Ziemiak klang fast kleinlaut: "Das Erscheinungsbild der Partei ist nicht gut, aber es gab nicht nur schlechte Dinge" in der laufenden Regierungszeit. Kevin Kühnert dagegen machte es sich bequem vor dem Stück, für das sich die CDU die "Aufführungsrechte bei den SozialdemokratInnen besorgt" (taz) hat. Er werde nur die Regierung kommentieren, nicht die CDU-Interna - und legte los: Nichts gehe voran wegen des Führungs-Tralalas der CDU. Und, hallo Machtvakuum, wieso sage die Bundeskanzlerin nichts zu den Syrienplänen, zur Wahl in Thüringen, also gar nichts derzeit?!
Irgendeine Idee?
"Auch so eine Kanzlerenergie entweicht irgendwann", erklärte einer der beiden journalistischen Gäste, der Ex-"Handelsblatt"-Chef Gabor Steingart. "Es ist schwer und es ist notwendig, Angela Merkel zu ersetzen."
Seine Kollegin, die Hauptstadtkorrespondentin der "Rheinischen Post", Kristina Dunz, sah das Ganze strukturell: Dass die zweite Person im Staat drei Jahre vor der nächsten Wahl von der Parteispitze abtritt, "Diese Situation hatten wir noch nie."
Führungsfrage - Sekunde, war da nicht was bei der SPD?
Schon, aber das suppte fast unbemerkt vorbei. Auch Kühnert blendete die SPD-Situation aus. Bis Kristina Dunz süffisant kommentierte: "Ich bin erstaunt, dass Sie der CDU vorwerfen, eine Personaldebatte zu führen", erst recht bei der mauen ersten Kandidatensuchrunde.
Aber was ist denn nun eigentlich das Problem?
Jedenfalls nicht die Führungsdebatte, so Marina Weisband. Stattdessen gehe es darum, "Visionen" zu entwickeln für das Leben in 50 Jahren - doch bei der CDU sehe sie nur "Reaktionen auf das, was uns jetzt gerade schon um die Ohren fliegt", sagte sie in Ziemiaks Richtung und ordnete auch gleich ein, was das mit dem AfD-Erfolg bei den Landtagswahlen zu tun hat: "Man muss selbst Antworten entwickeln, um so die Antworten der AfD obsolet zu machen." Aber dem stünde die "Funktionärsmentalität" der "älteren Parteien" im Weg.
Für einen Moment klang Paul Ziemiak genauso - nur mit der Axt in der Hand: "Ich habe keine Hoffnung, dass in dieser GroKo Visionen für kommende Dekaden möglich sind, so ehrlich muss man sein." Autsch.
Also wird's nix mit dem ewigen Thema Grundrente?
Doch, doch, so Steingart und Dunz: "Wenn sich die Große Koalition allen Ernstes an der Frage der Grundrente zerlegt, haben sie es nicht besser verdient", befand Dunz. Die Grundrente musste gleich mehrfach herhalten - für den aktuellen GroKo-Zwist und für eine Wertedebatte: weil von der "Lebensleistungsrente", wie die CDU die Grundrente einst nannte, so Kühnert, nichts übrig sei. Woraufhin sich alle ins Kleinklein von Hubertus Heils Rentenplan stürzten, als führten sie die Koalitionsdebatte der letzten neun Monate an Ort und Stelle weiter. Ist ja auch alles so schön konkret und altbekannt. Parteienzukunft dagegen - gruselig fremd.
Apropos: Gab's auch was Neues?
Die Info, dass die CDU-Chefin "intellektuell in der Lage" wäre, ihre Jobs als Parteivorsitzende und Verteidigungsministerin auch inhaltlich zu füllen, wie Kristina Dunz erklärte, obendrein Kramp-Karrenbauer-Biografin. Und Kühnert stimmte ihr zu. Dass das so erwähnenswert scheint, schien niemandem seltsam. Und dann war da noch die Systemfrage.
System wie in "Gesellschaftssystem"?
Genau. Die große S-Frage blitzte gleich zweimal auf. Gabor Steingart ätzte gegen Merz' Phrase über das "grottenschlechte Erscheinungsbild" der CDU und drehte sie auf die Rentendebatte: "Das Erscheinungsbild des Kapitalismus ist für Millionen Menschen auch grottenschlecht." Und allen, die Partei-Unterschiede vermissen, hier ein Moment zwischen Kühnert und Ziemiak, als Letzterer erklärte, wieso eine CDU-Linke-Koalition ausgeschlossen sei, nicht nur in Thüringen: Die wollten schließlich Sozialismus, ein anderes Gesellschaftssystem - Schnitt auf Kühnert: Der nickt begeistert, "Ja, klar!".
Da schien sie wieder auf, die Zukunft. Seltsam jedoch, dass diese Generation keinen Bock auf Personaldebatten hat. Dabei steckt die deutsche Parteiendemokratie in einer historisch aufregenden Situation: Bei CDU, SPD, Die Linke gibt's Dauergerangel um die Spitze. Könnte man ja was draus machen. Hier schon mal die Prognose von Dunz: Wenn die GroKo den November übersteht, hält sie.