Österreichwahl
So siegt der Marketingprofi

Sebastian Kurz (ÖVP), Wahlsieger in Österreich
Das Ergebnis der Wahlen zum Nationalrat lehrt vor allem eins: Österreicher lassen sich ungern belehren. Gut 57 Prozent der Stimmen waren bei der Parlamentswahl 2017 auf die konservative ÖVP und die Rechtsaußen-Partei FPÖ entfallen. Zwei Jahre und diverse Skandale später sind es kaum weniger: Die beiden Ex-Regierungsparteien kommen nun zusammengenommen auf fast 56 Prozent - ein Minus von weniger als zwei Prozent.
Das Ibiza-Video, im Mai veröffentlicht vom SPIEGEL und der "Süddeutschen Zeitung", hat zwar die Grundfesten der Republik erschüttert, nicht aber die Mehrheit der Wähler. Verschoben haben sich nur die Präferenzen innerhalb des Mitte-rechts-Lagers.
Robust gegen Ratschläge
Im Widerstand gegen Ratschläge aus der Restwelt sind Österreicher traditionell robust. Sie bewiesen das in den Achtzigern während der Affäre um die Wehrmachts-Vergangenheit von Präsident Kurt Waldheim; und sie bewiesen es während der EU-Sanktionen gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Wolfgang Schüssel im Jahr 2000. Unter Beschuss rückt man zwischen Karwendel und Karawanken zusammen.
Österreicher lebten in einem Land mit hoch "entwickelter Vernaderungskultur", so die angesehene Publizistin Anneliese Rohrer - man sei gut im Schlechtmachen anderer.
Das aber bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass man sich selbst alles gefallen lässt. Die Anhänger der ÖVP vor allem haben das am Sonntag klargemacht - ihren Kritikern im Ausland, aber auch im Inland.
Selten war die Kluft tiefer in Österreich zwischen veröffentlichter Meinung und Wählerverhalten. Als Gaunerpopulist, als unbeleckt und als machtbesoffener Steigbügelhalter der FPÖ ist Sebastian Kurz zuletzt in Kommentaren und Brandreden bezeichnet worden. Eine eingeschworene Gemeinschaft renommierter Twitterer bestärkte sich wechselseitig in dieser Auffassung - vielleicht, weil Gesinnungsgenossenschaft das Herz wärmt, wie der österreichische Schriftsteller Norbert Gstrein vor Kurzem in einem Essay spottete: "Wieder den Ball ins leere Tor gedroschen, wieder alles richtig gemacht."
Dabei driften liberaler Diskurs und Wählerwirklichkeit zunehmend auseinander. Das Phänomen politischer Parallelwelten hat einen Präsidenten wie Donald Trump in den USA möglich und die AfD in Deutschland gefährlich gemacht. In Österreich führte bereits vor Jahrzehnten der begnadete Demagoge Jörg Haider die Kunst vor, sich erfolgreich als Sprachrohr des einfachen Mannes gegen angeblich realitätsferne Eliten zu positionieren.
Eben noch Bananenrepublik
Dem Marketingprofi Sebastian Kurz ist es gelungen, einem extrem personalisierten Wahlkampf seinen Stempel aufzudrücken. Die Erinnerung daran, dass Österreich sich eben erst in den Augen vieler als Bananenrepublik blamiert hatte, verblasste dadurch.
Dass Kurz, nicht zuletzt mit Selfies über Instagram und mit staatsmännischer Pose in Fernseh-Duellen, weit mehr Wähler erreichte als seine politischen Mitbewerber, sagt viel über die Geheimnisse des Wahlkampferfolgs im digitalen Zeitalter aus.
Andererseits: Den Grünen gelang es, ihr Wahlergebnis um mehr als das Dreifache zu steigern, mit betont linken Positionen in der Sozialpolitik und begünstigt vom Rückenwind der laufenden Klimadebatte. Das lässt den Schluss zu, dass inhaltliches Format sich gleichfalls auszahlen kann.
Auch in Österreich zählen die Themen. Nur hat sich in der Frage, welche davon diesmal wichtig waren, eine schweigende Mehrheit anders entschieden als eine meinungsstarke Minderheit es gern gesehen hätte: Das Ibiza-Video und die folgenden Affären, sie schadeten der FPÖ - nicht aber dem alten und mutmaßlich neuen Kanzler Kurz.