Roadtrip auf dem Alaska Highway
Die große Einsamkeit
"Das ist für die Jagd auf Sasquatches." Dan stellt eine Patrone auf den Tresen des Lodge-Shops, grün und - na ja, eigentlich ist es eine Thermoskanne. Hat er den legendären Affenmenschen der nordamerikanischen Wildnis etwa selbst schon mal gejagt? Dan sagt, ohne mit der Wimper zu zucken: "Ja, schon oft". Er ruft Richtung Küche: "Ben, bring mal das Sasquatch-Gewehr!"
Dann flüstert er: "Das Fleisch der Sasquatch-Weibchen ist sehr zart." Er verzieht den Mund: "Das der Männchen nicht so." Der Mann mit dem grauen Bart schaut aus dem Fenster in den nahen Busch: "Jetzt ist gerade Brunftzeit." Das Faktotum der Tetsa River Lodge bei Meile 375 scheint jetzt lieber auf die Pirsch zu gehen, als Souvenirs an Touristen zu verhökern.
Bye-bye, Dan, und danke für die Zimtschnecken! Die sollen ja, steht auf dem Schild vor der Lodge, die besten in diesem Teil der Galaxis sein. Die besten auf diesem Planeten sind die ofenwarmen klebrigen Süßigkeiten auf jeden Fall. Da macht es nichts, dass Ben nicht mit dem angeblichen Sasquatch-Gewehr zurückkommt.
Kultiger Roadtrip von Dawson Creek bis Fairbanks
Dieses Jahr jährt sich der Bau des Alaska Highway zum 75. Mal. 11.000 Soldaten und 16.000 Zivilisten trieben ihn 1942 in knapp neun Monaten durch Kanadas noch nicht kartografierten Nordwesten nach Alaska. Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor im Dezember 1941 war damit die für den Kriegsschauplatz im Pazifik strategisch wichtige Verbindung zwischen Alaska und dem Rest der USA hergestellt.
Nach Kriegsende entwickelte sich die Straße, die am Mile-0-Schild in Dawson Creek im kanadischen British Columbia beginnt und offiziell in Delta Junction in Alaska, inoffiziell aber weiter nördlich in Fairbanks endet, zu einer touristischen Kultstrecke. Ihre 2400 Kilometer lassen sich bequem in einer Woche absolvieren. Verpflegung, Unterkunft und Benzin gibt es alle 70 bis 100 Kilometer, Handyempfang nur sporadisch, der Straßenzustand ist durchweg gut.
300.000 Roadtripper und Camperkapitäne aus aller Welt spüren alljährlich auf der kurvenreichen Reise durch die nördlichen Rocky Mountains der Faszination der Einsamkeit nach - und sind am Ende des Tages doch erleichtert, ein Motel ansteuern oder auf einen Campingplatz mit Strom- und Wasseranschluss rollen zu können.
Fotogene Höhepunkte sind ausgeschildert und in Broschüren angekündigt: die Karibus genannten Rentiere im Felsenlabyrinth des Stone Mountain Provincial Park, die tektonischen Verformungen und Bergschafe am jadegrünen Muncho Lake, die heißen Quellen und zotteligen Bisons in Liard Hot Springs, der wuchernde Schilderwald in Watson Lake, der Rundflug über den Kluane National Park, und Schwarz- und Grizzlybären jederzeit und überall.
"Sie denken, sie sind in der Wildnis. Aber das sind sie nicht"
Ob all das die Fahrt auf dem Alaska Highway noch abenteuerlich sein lässt, ist Ansichtssache. Auf jeden Fall faszinierend sind die Menschen, denen man unterwegs begegnet. "Die Straßen waren bessere Buschtrails", erinnert sich Marl Brown an eine Autofahrt in den Fünfzigerjahren. Damals fuhr der heute fast 90-Jährige von Fort Nelson zum 500 Kilometer entfernten Fort Simpson in den Northwest Territories. "Schneller als 15, 20 km/h ging es nicht. Wir brauchten Geduld und gutes Sitzfleisch!"
Brown, Kurator des bei Meile 300 liegenden Fort Nelson Heritage Museums, schmunzelt bei der Erinnerung. "Wir sahen keinen einzigen Menschen. Nur ein Flugzeug. Plötzlich war es da und donnerte im Tiefflug über uns hinweg. Ich hätte fast einen Herzschlag gekriegt!"
Das Museum entstand aus Browns Oldtimersammlung. Bis heute repariert und poliert der Mann mit dem weißen Rauschebart seine Lieblinge selbst. Auf seinem privaten Schrottplatz rosten US-amerikanische Armee-Lastwagen und Jeeps aus der Zeit des Highwaybaus vor sich hin. Brown sagt: "Heute fahren die Leute ein paar Meter von der Straße in den Busch und denken, sie sind in der Wildnis. Aber das sind sie nicht. Nicht wirklich!"
Im Double G Service, einem Truckstop bei Meile 456 am Muncho Lake, lauschen Urlauber bei dünnem Kaffee in Styroporbechern den Unterhaltungen der Trucker über die Vorzüge von "Moose Bumpern", furchteinflößenden Stoßstangengittern, die beim Zusammenprall mit größeren Tieren wie Elchen schützen sollen.
Die heißen Quellen der Liard Hot Springs bei Meile 497 teilt man sich mit Scharen rüstiger Senioren, die sämtliche Ersparnisse in ihre Camper gesteckt haben und nun seit Jahren als moderne Nomaden durch Nordamerika reisen: im Winter in den amerikanischen Südwesten, im Sommer nach British Columbia und Alberta.
Entlang der Rollfelder aus dem Zweiten Weltkrieg
Kurz vor der Grenze zum Yukon Territory stellt sich dann ein Gefühl dessen ein, was der alte Brown in Fort Nelson unter wahrer Wildnis versteht: Am historischen Milepost 514 biegt die Smith River Road zu einem alten Rollfeld ab und wird zur schlaglochreichen Holzabfuhrstraße. Dass dort mitten im Nirgendwo an einem entscheidenden Kapitel der Weltgeschichte mitgeschrieben wurde, lässt sich kaum erahnen.
Das heute zugewucherte Rollfeld gehört zu einer Kette von Landebahnen, Flughäfen und Funkstationen, mit deren Bau kanadische Buschpiloten in den Dreißigerjahren zwischen Edmonton und Fairbanks begonnen hatten: die Northwest Staging Route. Von 1942 bis 1945 überführte die US-Luftwaffe insgesamt 8000 Kampfflugzeuge und leichte Jagdbomber über diese Rollfelder nach Fairbanks. Von dort wurden sie von russischen Piloten an die Ostfront geflogen, um gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen.
Der einzige Ort auf der Strecke zwischen Dawson Creek und Fairbanks, der sich mit diesem kaum bekannten Kapitel der Weltgeschichte beschäftigt, ist der kleine Watson Lake Airport. Dort sind im Hauptgebäude historische Fotografien zu sehen. Gebäude, Rollfeld und Hangar stammen noch aus der Zeit der Northwest Staging Route.
Der Auftrag an die Ingenieure des Alaska Highways während des Zweiten Weltkriegs: die Rollfelder zu verbinden. Und so ist zwar die historische Luftstrecke schon fast vergessen - der Roadtrip durch die grandiose Natur im "The Great Alone" mit ihren skurrilen Bewohnern aber ist noch immer Kult.
Ole Helmhausen ist freier Autor bei SPIEGEL ONLINE. Die Reise wurde unterstützt von Destination BC, Travel Yukon und Fraserway.