Deutschlands Tor-Garantie bei der WM
Der Goldstandard
Was wäre der Fußball ohne seine martialische Sprache? Angriff und Verteidigung, Schüsse und der Bomber der Nation, Schlachtenbummler und Todesgruppe. Bei den deutschen Nationalspielerinnen war nach dem Sieg gegen Nigeria im Achtelfinale der WM in Frankreich vor allem ein Wort in aller Munde: "Waffe".
"Wir haben unsere Waffen ins Spiel gebracht", sagte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nach der Partie. "Das ist einfach unsere Waffe", sagte die am Zeh verletzte Dzsenifer Marozsán, die wieder auf der Bank saß. Und Angreiferin Alexandra Popp meinte: "Wenn man es spielerisch nicht schafft, ist das immer eine Waffe."
Die deutschen "Waffen" beim WM-Spiel in Grenoble, das die DFB-Auswahl 3:0 (2:0) gewann, waren die Standardsituationen. Der erste Treffer von Popp, die ihr 100. Länderspiel bestritt, fiel nach einer Ecke. Das zweite Tor durch Sara Däbritz erzielte die Mittelfeldspielerin per Strafstoß.
Offensive bleibt abschlussschwach
Auch in der Gruppenphase waren die sogenannten ruhenden Bälle ein wichtiges Mittel zum Toreschießen gewesen: Den einzigen Treffer beim Auftakt gegen China hatte Giulia Gwinn nach einer Ecke erzielt, auch Melanie Leupolz und Lina Magull profitierten bei ihren Treffern gegen Südafrika von dieser Standardsituation. "Bei den Standards sind wir momentan wirklich sehr gefährlich", sagte Popp nach dem Nigeria-Spiel.
Doch der allgemeine Jubel über die gelungenen Standards kann nicht ganz verdecken, dass das deutsche Team in der Offensive sonst eher abschlussschwach war. Gegen Nigeria spielten sie zwar recht anschaulich bis zum Strafraum, dort verließen die Angreiferinnen dann jedoch Mut und Kreativität. Dem dritten deutschen Treffer von Lea Schüller war ein Fehler einer gegnerischen Verteidigerin vorausgegangen.
Sonst sahen die Szenen oftmals so aus: Popp spielte den Ball Klara Bühl in den Lauf, die legte mit der Hacke zurück, Schüller schoss deutlich drüber. Oder: Schüller versuchte es mit einer Hereingabe, die kam aber nicht an. Und: Gwinn dribbelte eine Gegenspielerin aus, verpasste dadurch aber den optimalen Zeitpunkt zum Schuss - und scheiterte.
Drei Einsätze des Videoschiedsrichters
"Wir haben Ball und Gegner laufen lassen, aber nach vorne haben wir das eine oder andere Mal noch zu verspielt gewirkt", sagte Popp: "Da hätten wir noch mehr Tore machen können."
Dennoch können Standards bei dieser WM ein gutes Mittel sein, um weit zu kommen. Im nächsten Spiel warten entweder Schweden oder Kanada - beides Teams, die an guten Tagen aus dem Spiel heraus nur wenige Tore zulassen. Auch deshalb fragte Popp: "Wir haben viele gute Kopfballspielerinnen, wir haben Spielerinnen, die den Ball auf den Punkt bringen können, warum soll man das nicht nutzen?"
Profitieren konnten die Deutschen auch vom Videoschiedsrichter - und das dreimal. Beim 1:0 entschied der Assistent, dass Svenja Huth, die im Abseits - und vor der Torhüterin - stand, deren Blick wohl nicht verdeckt habe. Eine äußerst strittige Entscheidung, wenn nicht gar eine Fehlentscheidung. Beim 2:0 schaltete sich der VAR nach einem Foul im Strafraum an Lina Magull ein - diesmal zurecht, auch wenn das auf nigerianischer Seite anders gesehen wurde.
"Sie hat mich gut getroffen"
"Ich glaube, es war zuerst ein Foul an mir. Ich weiß nicht, was der Schiedsrichter gesehen hat", sagte Nigerias Verteidigerin Evelyn Nwabuoku nach der Partie und war mit dieser Einschätzung recht alleine. Magull selbst sagte: "Es war definitiv ein Elfmeter, ich habe auch eine schöne Schramme am Knie. Sie hat mich gut getroffen."
Die nigerianischen Fans waren mit den Entscheidungen überhaupt nicht einverstanden. Sie pfiffen die Schiedsrichterin aus und die Empörung fand ihren Höhepunkt, als ein Handspiel von Gwinn im deutschen Strafraum untersucht wurde und - zurecht, da sie den Arm angelegt hatte - kein Elfmeter gegeben wurde. "Ich werde den VAR nicht anklagen, deswegen haben wir nicht verloren", sagte Nigerias schwedischer Trainer Thomas Dennerby.
Video: "Wir haben uns nichts gefallen lassen"
Auch wenn Deutschland vom VAR profitiert hatte, waren nicht alle Spielerinnen vom Prozedere begeistert: "Diese lange Zeit, die dafür gebraucht wird, ist natürlich störend", sagte Schüller. "Das hat uns irgendwie den Faden genommen", sagte Popp: "Ich hatte erst gar keine Ahnung, warum bei meinem Tor nachgeschaut wurde." Und Magull meinte: "Das war nervig, warten zu müssen."
Rückkehr von Starspielerin Marozsán
Weitere Unterstützung hat die deutsche Mannschaft übrigens von den Turnierveranstaltern, konkret: den Spielplanern, bekommen. Die DFB-Auswahl hatte das erste Achtelfinale des Turniers - und wird am kommenden Samstag (18.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) das letzte Viertelfinale bestreiten. Das Team kann sich also eine Woche lang regenerieren.
"Wir hatten zwei Spiele bei unglaublich warmen Temperaturen", sagte Kapitänin Popp: "Das ist natürlich kräftezehrend. Deshalb sind wir froh, ein paar Tage durchatmen zu können." Einen Spannungsabfall befürchtet sie nicht: "Das werden die Trainerinnen mit einer guten Trainingssteuerung verhindern."
Besonders profitieren wird die DFB-Auswahl wohl von der wahrscheinlichen Rückkehr von Starspielerin Marozsán. Sie wäre auch gegen Nigeria zum Einsatz gekommen, falls die Partie eng geworden wäre. "Schön, dass ich nochmal sieben Tage gewonnen habe", sagte die Spielmacherin. Bundestrainerin Voss-Tecklenburg freute sich: "Stand heute sage ich: Ja, sie wird im Viertelfinale eingesetzt werden."
Deutschland - Nigeria 3:0 (2:0)
1:0 Popp (20.)
2:0 Däbritz (27. Foulelfmeter)
3:0 Schüller (82.)
Deutschland: Schult - Gwinn, Doorsoun, Hegering, Schweers (46. Simon) - Huth, Leupolz (46. Bühl), Magull (69. Oberdorf) , Däbritz - Schüller, Popp
Nigeria: Nnadozie - Okeke, Ebi, Nwabuoku (46. Ajibade), Ohale - Ordega, Ayinde, Okobi, Kanu (84. Ogebe) - Ihezuo (77. Uchendu), Oparanozie
Schiedsrichterin: Yoshimi Yamashita (Japan)
Gelbe Karten: Popp, Huth / Nwabuoku, Oparanozie, Ajibade
Zuschauer: 17.988