Chinesischer Handy-Unternehmer Lei
Der Jobs-Darsteller
Es gibt viele Geschichten über Chinas Kopierwahn, doch die von Lei Jun ist besonders befremdlich. Als er vergangenes Jahr am 16. August auf eine Bühne in Peking stieg, meinten manche, sie hätten Steve Jobs' Geist gesehen.
Lei lächelte in den Applaus. Er hielt ein orangefarbenes Touchscreen-Handy in der Hand, ein Telefon mit berührungsempfindlichem Bildschirm. Er trug ein schwarzes Shirt, eine blaue Jeans und Turnschuhe. Lei reckte das Handy kurz in die Luft. Dann sagte er: "Wir nennen es das Xiaomi-Phone."
Chinesische Blogs berichten später über diese Show. Sie montieren Fotos nebeneinander , um gewisse Ähnlichkeiten hervorzuheben. Links Lei, wie er die Arme ausbreitet, eine Art aufgehende Sonne formt; rechts Steve Jobs in gleicher Pose. Links Lei vor einer majestätischen Leinwand mit dem Xiaomi-Phone; rechts der inzwischen verstorbene Apple-Chef vor einer Leinwand mit dem iPhone.
Dass Chinesen gerne imitieren, daran hat man sich inzwischen ja gewöhnt: Autos, DVDs, Lacoste-Hemden und neulich sogar einen kompletten Apple-Shop in Peking. Aber ein Chinese, der Steve Jobs raubkopiert? Was sagt ein solcher Auftritt über eine angehende Hochtechnologie-Nation? Über ein Land, dessen Regierung dem Kopierwahn gerade abschwört, das zum Land der Erfinder werden will - und derzeit irgendwie zwischen den Polen hängt?
Vielleicht ist dieses Land wie Lei, der Steve Jobs vergötterte und gleichzeitig den Tod des Apple-Gründers herbeisehnte - bis Jobs an einem Herbsttag wirklich starb.
Leis Welt
Lei eilt voran durch das Xiaomi-Großraumbüro. Ein Slalom-Parcours führt vorbei an Paketen, Bücherstapeln, Kisten durch einen runden Raum, vollgestopft mit Trennwänden und Tischen, an denen Programmierer und Designer teils zu dritt sitzen. Lei öffnet die Tür zum Chefbüro, auch hier stapeln sich die Webeprospekte, Aktenordner und Handykartons. In einem Regal, neben einer gläsernen Uhr, steht die Steve-Jobs-Biografie von Walter Isaacson.
Lei setzt sich auf die Couch. Er wippt mit den Beinen. Seine Finger drehen das orange Xiaomi-Phone. Er redet oft in Bullet Points, drei Argumente pro Thema. Noch öfter redet er von Apple.
"Apple", sagt Lei...
- ..."ist eine furchtbare Firma.
- Niemand kann besser sein.
- Apple können Sie nicht kopieren. Vergessen Sie's."
"Das Xiaomi-Phone ist keine Kopie", sagt Lei. "Es ist besser. Es kann mehr." Und tatsächlich: Mit einem Zwei-Kern-Prozessor, Taktfrequenz 1,5 Gigahertz und einem Gigabyte Arbeitsspeicher kann es mit der derzeitigen Smartphone-Generation gut mithalten. In puncto Design kommt Xiaomi freilich nicht an Apples Handy heran, doch während das US-Produkt mindestens 649 Dollar kostet, zahlt man für das Xiamo-Phone gerade mal 220 Dollar. Das Telefon liegt gut in der Hand, die Bedienung ist schnell und flüssig. Das Tech-Blog Engadget etwa lobte das Handy in einer ausführlichen Rezension - obwohl man es in den USA gar nicht kaufen kann.
Lei sagt, dass Steve Jobs für ihn seit 20 Jahren ein Vorbild sei. Als Student an der Wuhan-Universität habe er das erste Mal über Jobs' Leben gelesen. Seine Hausarbeiten schrieb er auf dem Macintosh II. "Doch jetzt ist es an der Zeit, dass andere die Führung übernehmen."
Jobs' Tod
Der Kampf um die Tech-Herrschaft - bei diesem Thema verändert sich Leis Duktus, er wechselt nahtlos vom Bullet-Point-Stil zum Pathos. Vergangenen Sommer schrieb er in der Zeitung "Entrepreneur" einen kontroversen Artikel: "Der Sinn unserer Existenz ist es nur, zu warten, dass er den Löffel abgibt." Er, Jobs, Leis Übervater.
Natürlich, ergänzt Lei, "wünschen wir Jobs ein langes Leben". Andererseits werde die Welt zu sehr von seinem Licht geblendet. "Wir möchten in einer farbigeren Welt leben."
"Wir", schreibt Lei, als sei er das Sprachrohr aller chinesischen IT-Unternehmer. "Die Götter des neuen Zeitalters werden gerade erst erschaffen. In China werden sich in den kommenden zehn goldenen Jahren viele Helden aufschwingen."
Am 5. Oktober ist Steve Jobs dann tatsächlich gestorben. Und Lei inszenierte einen gespenstischen Totenkult. Ein Bild zeigt ihn in irgendeinem Keller, im Anzug, jemand hat ausgedruckte Steve-Jobs-Porträtfotos auf die Heizungsrohre hinter ihm geklebt. Rasch kursiert das Foto im Internet.
Xiaomi-Mitarbeiter sandten geschmacklose Kommentare über den Kurznachrichtendienst Weibo: "iDead", schreiben sie. Kurz darauf wurden die Tweets wieder gelöscht. Xiaomi entschuldigte sich.
Lei und Jobs
In seinem Büro sagt Lei, dass er nach Jobs' Tod getrauert habe. Dass die Weibo-Nachrichten geschmacklos gewesen seien. Dass er aber nicht bereut, was er seinerzeit im " Entrepreneur" geschrieben hat.
Lei ist jetzt 46. Und hat viel erreicht. Er hat den Software-Konzern Kingsoft gegründet, der heute an der Börse in Hongkong gelistet ist. Er hat Yoyo.com hochgezogen, das chinesische Amazon. Er hat UCWeb großgemacht, Chinas bekanntesten mobilen Browser. Er hat selbst in zahlreiche erfolgreiche Internetfirmen investiert. Auch für Xiaomi hat Lei große Pläne. Das Start-up wurde erst im April 2010 gegründet, hat aber schon 130 Millionen Dollar bei Investoren eingesammelt. Im laufenden Jahr soll Xiaomi mehrere Millionen Telefone verkaufen.
Und schon jetzt entsteht in China um das Xiaomi-Phone ein Kult, ähnlich wie im Westen um das iPhone. Xiaomi-Nutzer basteln allerlei schräge Fan-Artikel: eine Korbstuhlhalterung, Hausschlappen mit dem Konterfei des Xiaomi-Maskottchens. In einem Forum veröffentlichen Nutzer Verbesserungsvorschläge für die Software, die die Firma aus Googles Android-Betriebssystem heraus entwickelt hat. Viele der Vorschläge werden kurzfristig umgesetzt. Fast jede Woche gibt es ein Update. "Wir gehen mit großen Schritten voran", sagt Lei.
Trotzdem glaubt er nicht, sein Idol je überholen zu können. Er geht zu seinem Schreibtisch, holt ein iPhone, setzt sich wieder. Lei hat die Taschenrechner-App des Apple-Smartphones geöffnet. "Wenn man es querdreht, verwandelt sich das Display in einen Taschenrechner für Wissenschaftler, mit vielen komplexen Rechenfunktionen", sagt er. "Wie kommt man nur auf so geniale Ideen?"
Dass er bei seiner Handy-Präsentation von Steve Jobs abgekupfert hat, gibt er unumwunden zu: "Die klaren Powerpoint-Folien. Die viele Zeit, die sich Jobs nimmt, um ein Produkt vorzustellen. Das ist die richtige Art für eine Präsentation." Selbst Jobs' Körpersprache hat ihn fasziniert. "Es gibt weniger als zehn wirksame Gesten für solche Auftritte." Genau die habe Jobs verwendet. Und später auch Lei.
Helden
Lei tritt ans Fenster und schaut über Peking. Von hier oben, aus der 12. Etage des Quanshitiandi-Turms, blickt man weit über die Stadt. Hinüber zu anderen glitzernden Wolkenkratzerfassaden und herunter auf einen Platz, an dem sich zwei achtspurige Straßen kreuzen. Direkt neben der lauten, versmogten Straße steht ein Zelt, in dem Wanderarbeiter leben.
Es ist ein zerrissenes Land, in dem der Firmenboss seine Handys baut, so zerrissen wie auch Lei. Ein Land, das dringend Helden braucht. Lei will Bestehendes erschüttern, Neues schaffen. Doch noch fehlt ihm, wie so vielen Unternehmern seiner Generation, etwas, um sich von seinen Vorbildern zu lösen.
Will Lei ein Vorbild sein? Er schüttelt den Kopf. "Das ist bedeutungslos. Das Schicksal eines Gründers kann von der Geschichte vergessen werden."